Ich danke euch allen für eure Bereitschaft zu lesen und für eure Kommentare!
drahtwurm:
Schön, wieder hier vorbei zu schauen und noch ein paar alte vertraute Namen zu kennen.
Freue mich, auch von dir wieder zu hören/lesen.
Danke für deine guten Wünsche!
Und führe dir meine Texte nur zu Gemüte - denn dort gehören sie auch hin!
Amelie:
Auch dich wieder hier zu treffen, finde ich sehr schön.
Wie ich sehe, seid ihr beide (drahtwurm und du) ja schon im annozone-Team, allerhand!
Mich freut es sehr, wenn ich euch mit meinen Texten etwas geben kann!
Fühl dich auch von mir geknuddelt!
Bastel:
Ich freue mich sehr, einen neuen Leser meiner Texte begrüßen zu dürfen.
Danke auch dir für deine Wertschätzung.
Meine Texte sind in irgendeiner Weise alle aus dem wahren Leben gegriffen. Sie betreffen sehr offen und ehrlich mein eigenes Leben.
Nachdem ich sehe, dass es immer noch interessierte Leser gibt, traue ich mich, auch meinen neuesten, sehr langen und sehr persönlichen Text hier hereinzustellen. Ich habe ihn anlässlich eines Klassentreffens, an dem ich leider nicht teilnehmen konnte, zu unserem 30-jährigen Maturajubiläum geschrieben. Es handelt sich um so etwas wie eine Teilbiografie - um die letzten dreißig Jahre in meinem Leben. Viel Geduld und keine Scheu beim Lesen!
Die letzten dreißig Jahre
Dreißig Jahre ist sie also schon her – die Matura – der Abschluss der AHS, meiner Schulzeit. 1978 war das, und ich war damals 18.
Wie ging es dann weiter bis heute?
1978 – 1984 (18 – 24 Jahre)
Nun zunächst hatte ich noch den Wunsch zu studieren – Lehramt Mathematik vorerst. Dazu machte ich bei Dr. Roland einen Kurs in Darstellender Geometrie und jobbte nebenbei bei Essen auf Rädern und Ähnlichem.
Es war dann jedoch so, dass meine Eltern mich aus verschiedenen Gründen, die wohl mit meinen Eskapaden in der Pubertätszeit zu tun hatten, bei meinem Studium nicht unterstützen wollten. Außerdem traute ich es mir dann auch einfach nicht mehr zu.
Zuerst dachte ich noch, ich würde irgendwo anfangen zu arbeiten, um zunächst einmal Geld zu verdienen und nebenbei die Lehrerausbildung für Maschinschreiben und Stenografie zu machen, dann beginnen zu unterrichten und nebenbei Mathematik Lehramt zu studieren. Sehr unrealistische Vorstellung! Und es kam natürlich auch ganz anders.
Tatsächlich jobbte ich etwas herum, machte dann übers AMS einen Kurs „Büropraxis“ beim BFI, wo ich mir kaufmännische Kenntnisse erwarb. Dann bewarb ich mich bei verschiedenen Banken und landete letztendlich bei der Creditanstalt-Bankverein in der Abteilung Programmierung. Die Bank hatte AHS-Absolventen für die Ausbildung zum Programmierer gesucht und daher bei Vorstellungsgesprächen spezielle Logik-Tests gemacht.
Obwohl ich vorher noch nie mit Computern zu tun hatte und im Wesentlichen auch nicht mehr wusste, als dass man diesen Blechtrottel füttert und dass dann irgendwas herauskommt, begann ich im August 1979 – gleich nach dem Ende des Büropraxis-Kurses - bei der CA-BV als Programmiererin. (Später wurde das Software Engineer genannt.)
Die erste Zeit dort war einerseits ziemlich hart, weil die Ausbildung damals zu einem Großteil aus Selbstausbildung bestand und man oft nur Bahnhof verstand, jedoch erkannte ich bald, dass hier meine Neigung zum Rätsellösen und zum Spielen mit dem logischen Denken als Arbeit bezahlt wurden.
Von Erwin, meinem Jugendfreund, trennte ich mich in dieser Zeit. Die Beziehung war ohnehin sehr schwierig gewesen. Mein erster Urlaub mit dem selbstverdienten Geld war ein Tauchurlaub in Sri Lanka und auf den Malediven.
Nach einer Einschulungszeit in einer Zweigstelle und diversen Kursen wurde ich als Anwendungsprogrammierer eingesetzt. Ich glaube, ich machte meine Arbeit ganz gut und vor allem auch recht gerne (mit vielen Überstunden), und nach ungefähr fünf Jahren wechselte ich in die Systemprogrammierung.
In der ersten Zeit in der CA lernte ich auch meinen späteren Lebensgefährten Gerhard kennen, der auch in der Programmierung arbeitete. 1981 zog ich von zu Hause aus und mit ihm in eine Wohnung in Simmering. Dort lebten wir zwei Jahre, dann nahm sich Gerhard eine schöne Eigentumswohnung, und ich landete wieder zurück im 14. Bezirk. Jedenfalls erlebten wir eine recht glückliche Zeit mit viel Arbeit und verbrachten die Freizeit mit Freunden, einigen schönen Urlauben und dem Herrichten der neuen Wohnung.
1984 wurde ich in einer Pillenpause schwanger und obwohl ich bis dahin aus verschiedenen Gründen kein Kind haben wollte, entschied ich mich ganz bewusst und mit viel Liebe für das kleine Wesen, das da in mir heranwuchs. Die Schwangerschaft war eigentlich eine recht schöne Zeit.
1985 – 1991 (25 – 31 Jahre)
Im Jänner 1985 gebar ich meinen Sohn Martin. Dieses Ereignis war das Beeindruckendste und Schönste in meinem Leben und ich war froh, dies erleben zu dürfen. Allerdings hatte ich zunächst eine Wochenbettdepression beziehungsweise eine Stillpsychose. Die Geburt meines Sohnes hatte mich seelisch sehr aufgewühlt und in mir erstmals meine mütterlich-weiblichen Seiten mit einem Schlag äußerst heftig hervorgebracht.
Obwohl die erste Zeit mit dem kleinen Kind wirklich sehr anstrengend war, war es dennoch eine sehr glückliche Zeit, in der ich die Entwicklung meines Sohnes miterleben durfte. Mein Leben veränderte sich natürlich stark – statt Arbeit und Selbständigkeit jetzt Kind und Haushalt, spielen, Kuchen backen, Babyschwimmen, Kontakte mit anderen Müttern und dadurch viele Frauenfreundschaften. Mit Martin unternahmen wir auch viele schöne Urlaube und Ausflüge. Um ein bisschen dazuzuverdienen (an eine Rückkehr in die CA war damals nicht zu denken, ich wollte die ersten Jahre ja bei Martin zu Hause bleiben) passte ich auf kleine Kinder auf, bügelte für andere Leute und ging putzen.
Als Martin ungefähr drei oder vier Jahre alt war, begann bei mir eine Zeit der schweren Depressionen. Zu Beginn wusste ich nicht einmal so genau, was das war, aber ich erkannte, dass ich ohne äußeren Anlass schlecht drauf war. Die Ursachen für die Depression lagen wohl einerseits in meiner Kindheit und Persönlichkeit begründet, doch andererseits auch in der Abwertung meiner Person durch die Tätigkeit als „Nur-Hausfrau-und-Mutter“ und durch verschiedene Auffassungsunterschiede und Probleme mit meinem Lebensgefährten Gerhard.
Ich traute es mir nun gar nicht mehr zu, wieder arbeiten zu gehen, außerdem schaffte ich kaum mehr meinen Haushalt. Die Depressionen damals waren sehr schwer, und wenn ich nicht meinen Sohn gehabt hätte, hätte ich sie wohl nicht überstanden. Ich war dann natürlich in psychiatrischer Behandlung (die ersten Antidepressiva), doch zunächst brachte mir das keine Verbesserung meines Zustandes. Ich las viel darüber und verstand bald vieles besser. Gerhard kam anfangs schlecht damit zurecht, doch mit der Zeit unterstützte er mich. Freunde und Familienmitglieder halfen mir auch – im Haushalt und auch psychisch. Die Depressionen begleiteten mein Leben ungefähr drei bis vier Jahre lang ohne wesentliche Veränderung.
1992 (32 Jahre)
Im Jahr 1992 ereignete sich dann sehr viel. Zunächst hatte ich eine schizo-affektive Psychose. Ich dachte zuerst, ich wäre erleuchtet, und erlebte erstmals eine unglaubliche Lebensfreude, die ich vorher noch nicht gekannt hatte. So eine Psychose ist aber auch gekennzeichnet durch teilweisen Realitätsverlust, Wahnvorstellungen, Denkstörungen, Gefühlsschwankungen, unvorstellbare Ängste und Ver-rückt-heit.
Ich war im Mai dieses Jahres eine Woche lang stationär auf der Baumgartner Höhe, dann noch mal im Juli eine Woche und im November/Dezember drei oder vier Wochen. Jetzt war es also soweit („Steinhof, Steinhof, mach’s Türl auf, die Susi kommt im Dauerlauf!“) – ich war auf der Psychiatrie. Dort wurde ich mit Neuroleptika behandelt, später wieder mit Antidepressiva.
Die Zeit der Psychose war zwar schrecklich – sie hat auch Vieles zerstört - doch nicht nur, sie war auch wunderbar und hat Einiges geboren. Für mich ist sie nicht nur eine Krankheit, sondern auch eine Chance und eine Gabe. Mein Horizont erweiterte sich erheblich, und meine ganze Lebenseinstellung veränderte sich. Endlich fand ich zu einem Glauben an das Leben. Die Psychose eröffnete mir sehr viel – so manche alten unbewältigten Ängste tauchten wieder auf und wurden überwunden - und ich erfuhr, dass alles im Leben seinen Sinn hat.
Die Psychose war auch ein Ausbruch – aus den Depressionen, aber auch aus der Beziehung mit Gerhard. Es gab schon länger auch Probleme, aber in dieser psychotischen Zeit war es besonders schwierig. Ich war so verrückt, dass ich ihm vor allem mit meinen Worten, aber auch Handlungen sehr viel angetan hatte. In diesem Jahr 1992 mit seinen psychotischen Schüben trennte ich mich von ihm, kam wieder zurück, wollte ihn heiraten – wir hatten schon Ringe, und ein Termin war auch schon festgelegt – dann wieder doch nicht. Er wiederum verstand meine Krankheit nicht, nahm Vieles zu persönlich und verbot mir meine Psychose. Er wollte mir zwar auch helfen, war aber machtlos und überfordert. Wir entfremdeten uns in dieser Zeit sehr stark, und ich fühlte mich oft trotz viel Hilfe und Zuwendung von Freunden und Verwandten sehr einsam.
Im Winter 1992 war meine Psychose am schlimmsten. Ein Schreianfall, ausgelöst durch die ärgsten Angstzustände, die ich jemals erlebt hatte, veranlasste meinen dritten psychiatrischen Aufenthalt auf der Baumgartner Höhe. Mir fehlt zum großen Teil die Erinnerung an die ersten zwei, drei Wochen in der Klinik. Meiner Mutter teilte der Arzt mit, dass sie trotz hoher Neuroleptika-Gabe nicht wüssten, ob sie mich wieder aus diesem Zustand zurückholen könnten.
Meine Eltern kümmerten sich in dieser Zeit wirklich sehr lieb um mich, wie auch vor allem meine Schwester und meine Freunde, wie auch andere Familienmitglieder und Bekannte. Auch Martin half mir. Er war immer gut untergebracht, wenn ich im Spital war – meist bei meiner damaligen Freundin Lisbeth, bei meiner Schwester Monika, bei meinem Bruder Peter oder bei meinen Eltern.
Jedenfalls überwand ich dennoch auch diesen schwersten psychotischen Schub durch unglaubliche Mengen von Haldol und Ähnlichem, durch verschiedene Therapien, durch eine Menge Hilfe und Zuwendung von vielen Menschen oder auch einfach, weil sich die Psychose ausgelebt hatte, herausgebracht hatte, was herausbrechen sollte, mir neue Seiten gezeigt hatte, die nur in solchen Zuständen erlebbar sind, weil sie ihren Zweck erfüllt hatte. So schlimm sie auch war, war sie auch bereichernd und ist ein wichtiger Schritt in meiner Entwicklung gewesen. Vor Weihnachten 1992 wurde ich dann entlassen.
1993 – 1994 (33 – 34 Jahre)
1993, nach meinem letzten stationären Aufenthalt, war ich für ein Dreivierteljahr vormittags in den Therapiewerkstätten auf der Baumgartner Höhe, wo ich Webarbeiten, Seidenmalen und Batiken machte. Dort war auch so etwas wie ein Übungs-Büro, wo ich ein bisschen am Computer arbeiten konnte. Damals schrieb ich meinen ersten Text „Das Märchen vom Schachtelkind“, in dem ich die Zeit der Depressionen und des Ausbruchs – der Psychose – verarbeitete. Ich wurde ambulant vor allem mit Quilonorm, einem phasenprophylaktischen Medikament (Lithium) behandelt, denn meine damalige Diagnose – und somit mein Verständnismodell für viele Jahre – war die manisch-depressive Krankheit. Ich bekam auch weiterhin Neuroleptika und Antidepressiva. Außerdem hatte ich auch erstmals Gesprächstherapie für längere Zeit.
Auch nach dieser Zeit der schwersten Psychose hatte ich weiterhin depressive und leichte psychotische Phasen. Jedoch waren die Depressionen nie wieder so schwer und langanhaltend und die psychotischen Phasen lange nicht mehr so arg. Ich habe gelernt, mit diesen Phasen in abgeschwächter Form zu leben, und komme von Mal zu Mal besser damit zurecht.
Jedenfalls gewöhnte ich mich in dieser Zeit in den Therapiewerkstätten im Jahr 1993 auch an den Tagesablauf wie bei einem Halbtagsjob. Schön langsam befasste ich mich auch mit dem Gedanken, wieder arbeiten gehen zu können. Meine Beziehung mit Gerhard ging allmählich dem Ende zu. Im Jänner 1994 begann ich wieder in der CA in der Anwendungsprogrammierung zu arbeiten, also nach rund neun Jahren Pause. Da hatte sich in der Zwischenzeit natürlich sehr viel in der EDV verändert. Irgendwie – gestützt durch meine Medikamente und Therapien und durch sehr viel Entgegenkommen seitens meiner Arbeitskollegen – schaffte ich es aber doch wieder, den Anschluss zu finden. Ich arbeitete 20 Stunden pro Woche, nach einem Jahr 25 Stunden. Zum Glück konnte ich mir meine Arbeitszeit durch verschobene Dienstzeit und Zeitausgleich ganz gut selbst einteilen.
Martin hatte sich zu einem lieben, intelligenten, warmherzigen, tapferen, lebhaften und braven kleinen Burschen entwickelt. Er ging damals in die Volksschule. Natürlich hatte er so einiges – an wirrem Gerede von mir, aber auch Beziehungsstreitereien und andere unschöne Dinge – vor allem in diesen schwierigen Jahren der Krankheit miterleben müssen. Ich hoffe, er hat es dennoch halbwegs gut verarbeiten können. Jedoch sollte noch ein entscheidender Einschnitt für ihn folgen – meine Trennung von seinem Vater Gerhard und damit unser Umzug in eine eigene Wohnung.
Gerhard und ich beschlossen irgendwann einvernehmlich, uns zu trennen und die Sache zivilisiert und nicht überstürzt ablaufen zu lassen. Ich sollte genug Zeit haben, mir eine Wohnung zu suchen. Wir vereinbarten, dass Gerhard eine Räumungsklage gegen mich einreicht, sonst hätte ich keinen Anspruch auf eine Gemeindewohnung gehabt. Wir wollten vernünftig und lieb als Eltern mit dem Martin umgehen, ehrlich zueinander sein und nicht im Streit enden. Nach dreizehn Jahren hatte unsere Beziehung ihr Ende gefunden.
Ich suchte 1994 um eine Gemeindewohnung an und musste auch nicht lange darauf warten, da mich die Sozialarbeiterin von der Baumgartner Höhe unterstützte. In der Zwischenzeit hatten Gerhard und Lisbeth, die gerade erst geschieden wurde, zusammengefunden. Wir hatten Lisbeth eingeladen, mit ihren Kindern bei uns zu leben, bis sie eine Wohnung gefunden hätte. Die Situation wurde zuletzt allerdings unerträglich – vor allem, als auch unschöne Dinge aus der Vergangenheit ans Tageslicht kamen. Von einer zivilisierten Trennung war nun keine Rede mehr, und sobald ich im Herbst 1994 den Schlüssel für die Wohnung bekommen hatte, war ich auch schon weg, mit dem Martin natürlich. Wir wohnten noch zwei Wochen bei meinen Eltern bevor wir einzogen, währenddessen mir mein Vater half, die Wohnung herzurichten.
Es begann eine zwar noch schmerzhafte, aber auch schöne und sehr aktive Zeit. Ich richtete erstmals selbst meine eigene Wohnung her. Es war eine Zeit der Befreiung und des Neuanfangs. Mein Teilzeitgehalt war gar nicht schlecht und reichte für ein einfaches Leben mit Martin ohne allzu große Sprünge, aber mit Urlauben und Anschaffungen, sodass wir zufrieden waren. Ich wollte auch weiterhin nur Teilzeit arbeiten – auch als mein Sohn in die Sporthauptschule, eine Ganztagsschule kam, also nicht nur seinetwegen, sondern auch meinetwegen und wegen meiner Krankheit. Es war mir eben wichtiger, Zeit für mich und Martin zu haben und nicht hundertprozentig in das Arbeitsleben integriert zu sein, als viel Geld zu haben. Gerhard und Martin hatten und haben bis heute regelmäßig Kontakt und ein gutes Verhältnis, worüber ich sehr froh bin. Auch unterstützte er ihn finanziell mit Alimenten.
Durch die Trennung von Gerhard verlor ich auch viele Freunde. Es war in mehrerer Hinsicht eine Zäsur und ein Neubeginn. Meine Familie stand zu mir. Es entwickelten sich neue Freundschaften – vor allem und bis heute die mit Susi, die bei mir im Haus gleich Tür an Tür mit mir lebt und die ich sehr lieb gewonnen habe. Auch mit Sanne, die auf der selben Stiege wohnte, verbrachten wir einige Zeit. Ich ging weiter arbeiten, richtete meine Wohnung nach und nach ein und war eigentlich recht glücklich. Mit der Zeit konnte ich auch die Tabletten wieder absetzen. Ich hatte mich psychisch wieder ganz erfangen und gelernt, mit dem Phasengeschehen (passive, depressive und im Gegenzug unruhige, aktive Phasen) ohne Medikamente umzugehen. Auch begann ich, um fit zu werden, viel spazieren zu gehen und wieder zu turnen – in der Volkshochschule, im Sport-Center und mit einem Freund namens Rudi.
1995 – 1998 (35 – 38 Jahre)
Martin und ich machten im Sommer Urlaube – in Kreta, am Klopeiner See und bei meinem Bruder im Waldviertel. Gerade als es mir wieder so richtig gut ging, begannen leider die ersten körperlichen Beschwerden. Das war im Jahr 1996. Das Turnen mit Rudi und die Massagen von ihm zeigten starke Wirkung – alte Verspannungen kamen hervor und wurden aufgelöst (und traten auch psychisch zu Tage), jedoch gab es auch sehr schmerzhafte Phasen und auch andere körperliche Beschwerden, als sich in meinem Körper alles neu einrichtete. Jedenfalls wurden die Schmerzen leider chronisch, starke Erschöpfungs- und Schwächezustände kamen dazu, sowie auch Schlaf-, Verdauungs- und andere Störungen, die durch ein Ungleichgewicht im vegetativen Nervensystem zu Stande kommen. Heute weiß ich, dass das zu einseitige und teilweise falsche Turnen und Massieren – das Beruhigende, die Entspannung fehlte fast ganz – mit dazu beigetragen haben, eine chronische Krankheit bei mir zu entwickeln.
Anfang 1997 erkrankte meine Mutter leider an Bauchspeicheldrüsenkrebs und verstarb bald darauf Ende Juli. Das war ein sehr trauriges Ereignis – sie war erst 60 Jahre alt – und doch brachte es den Rest der Familie näher zusammen. Besonders mit meinem Vater und seinem Schmerz war ich eine Zeitlang sehr stark verbunden. Danach verbrachte ich eine Weile bei meinem Bruder Peter im Waldviertel, mit dem ich mich recht gut verstehe, wenngleich ich ihn nur selten sehe. 1998 war ich alleine in Kefalonia auf Urlaub.
Meine körperlichen Beschwerden verschlimmerten sich weiter und schränkten mich bei Arbeit, Haushalt und Freizeit ein. An Sport war nun auch nicht mehr zu denken, obwohl ich mich dann später immer wieder mit flottem spazieren Gehen etwas aufbauen konnte. Ich wurde zunächst von meinem Betriebsarzt und von meinem praktischen Arzt mit verschiedenen Therapien und Medikamenten behandelt, aber mit nur geringem Erfolg. Mein Hausarzt veranlasste die verschiedensten Untersuchungen, aber nichts Greifbares oder Messbares wurde gefunden. Ich nahm in der ersten Zeit recht viele Schmerzmittel, doch sie wirkten bald nicht mehr, dann später nahm ich sie nur mehr ab und zu. Haushalt und Arbeit zu bewältigen wurde immer schwieriger, und bald nahm ich auch dankbar die Hilfe meiner Freunde an.
1999 – 2001 (39 – 41 Jahre)
1999 war es dann so, dass meine Schmerzen schon ununterbrochen fortbestanden, es gab keine Pause mehr. Ich stand mit Schmerzen auf und legte mich nieder mit ihnen, oft konnte ich nicht gut schlafen, und ich war sehr schwach. Bald kam ich nur schwer aus dem Bett - zum Arbeiten schleppte ich mich sowieso meist erst am Nachmittag – und nach der Arbeit, die ich wegen der Schmerzen nur mehr sehr schwer bewältigen konnte, war ich wieder ganz erschöpft. Durch ziemlich freie Arbeitseinteilung konnte ich lange einen Krankenstand vermeiden. Jedoch ab Mitte Februar 1999 war es dann so weit, dass ich gar nicht mehr arbeiten gehen konnte, und ich blieb für lange Zeit krankgeschrieben.
Im August darauf war ich ungefähr zehn Tage im Krankenhaus Lainz – da wurde mir die Diagnose Fibromyalgie gestellt – eine chronische Schmerzkrankheit, bei der Muskeln und Bindegewebe am ganzen Körper betroffen sind und die auch alle meine anderen Symptome erklärte. Es war eine Erleichterung, eine Diagnose zu haben, nachdem lange herumgerätselt wurde, was und ob ich etwas hätte oder ob ich mir das nicht nur einbildete. Jedenfalls konnte ich mich nun im Internet und in Büchern informieren. Ich musste leider feststellen, dass die Ärzte zur damaligen Zeit noch sehr wenig darüber wussten oder die Krankheit oft nicht ernst nahmen. Ich erfuhr, dass Fibromyalgie nicht heilbar ist, aber man kann Verbesserungen erzielen und mit der Krankheit leben lernen.
Es folgte weiter eine Zeit mit vielen Arztbesuchen und Therapien. Fibromyalgie ist eine körperliche Erkrankung mit noch nicht geklärter, aber wahrscheinlich auch psychischer Ursache. Daher ging ich auch wieder zum Psychiater. Ich wurde wieder mit Antidepressiva behandelt – nicht so sehr wegen der Depressionen, die sich später als Folge der andauernden, kräfteraubenden Schmerzen und der Hoffnungslosigkeit einstellten, sondern um die Schmerzschwelle zu senken. Außerdem suchte ich nach einer Psychotherapie. Jedenfalls wird die Krankheit wohl dadurch ausgelöst, dass man sich selbst für sehr lange Zeit zu großen seelischen und/oder körperlichen Belastungen aussetzt. Man überfordert sich, weil man seine Grenzen nicht spürt und überschreitet.
Nach einigen Monaten Krankenstand, machte ich noch einen Arbeitsversuch, der aber bald scheiterte, und war wieder für viele Monate krankgeschrieben. Es kam dann Ende März 2000 nicht überraschend, aber dennoch erschütternd die einvernehmliche Kündigung von der CA. Ab dann pendelte ich zwischen Arbeitslosigkeit und Krankenstand hin und her, da ich weder beim AMS noch beim Gruppenarzt von der Krankenkasse Verständnis fand. Dann suchte ich zum ersten Mal um Berufsunfähigkeitspension an. Es folgte eine anstrengende und zermürbende Zeit der Begutachtungen, da ich nach dem ablehnenden Bescheid die Klage gegen die PVA beim Arbeits- und Sozialgericht einreichte.
Im Juli 2000 machte ich zum ersten Mal eine Kur in Warmbad Villach, die mir sehr gut tat. Anfang 2001 besuchte ich eine Schmerzbewältigungsgruppe mit Professor Bach im AKH, die sehr aufschlussreich und verbindend war. Ich schloss mich auch einer Selbsthilfegruppe für Fibromyalgie-Patienten an, die gerade erst im Entstehen war.
Im Jahr 2001 veränderte sich auch einiges in meinem privaten Freundeskreis. Rudi, den ich schon ziemlich lang kannte und der mich zu Anfang sehr unterstützte, war ein sehr schwieriger Mensch. Er wurde mit der Zeit auch immer launischer, boshafter, spöttischer, sturer und selbstherrlicher. Es stellte sich leider heraus, dass er ein sehr falscher Freund war – er war manipulierend, hinterhältig und skrupellos. Er versuchte, seine Freunde gegeneinander auszuspielen, und hätte fast meine Freundschaft mit Susi zerstört. Er dachte nur an seinen eigenen Vorteil. Ich hatte mich lange genug täuschen lassen, und 2001 kam alles heraus, sodass ich mich endgültig von ihm trennte. Wieder einmal ein bekanntes Muster, das ich in meinem Leben schon öfters kennen gelernt hatte – Lüge und Betrug – aber diesmal auf besonders grausame und herzlose Weise.
Es begann wieder einmal eine Zeit, in der ich ganz alleine mit meinem Sohn dastand. Martin hatte inzwischen die Sporthauptschule und auch das Polytechnische Jahr in der Handelsschule absolviert und war jetzt in einer EDV-Schule für Informatik-Kaufleute. Ich stand wieder ohne Freunde da – sogar mit Susi verstand ich mich nicht mehr - und mit meiner Familie hatte ich auch kaum mehr Kontakt. Doch mit der Zeit konnte ich auch wieder neue Freunde finden – bei der Selbsthilfegruppe und im Begegnungszentrum Regenbogenhaus. Meiner Familie näherte ich mich auch wieder an, und Susi und ich fanden wieder zusammen. Meine Wiener Großmutter, die ich vor ihrem Tode noch öfters im Pflegeheim besuchte, verstarb leider im Dezember 2001.
2002 – 2008 (42 – 48 Jahre)
Ich versuchte die verschiedensten Behandlungen, und manche halfen auch etwas. Die größte Verbesserung brachte jedoch wieder einmal die Änderung meiner Lebensumstände. Wieder war es eine Zeit der Befreiung und der Neuorientierung, die mich beflügelte. Im April 2002 war ich ein zweites Mal auf Kur in Warmbad Villach. Ich begann auch – gemeinsam mit meiner Schwester Monika - Tai Chi zu lernen, das ich heute noch betreibe und das mir recht gut tut. Meine Pension wurde beim ersten Mal trotz Klage abgelehnt – im Gegenteil, es wurde mir noch bescheinigt, dass ich ganztags und unter besonderem Stress arbeitsfähig wäre – welch ein Hohn, ich hätte gerne gearbeitet, wenn ich gekonnt hätte.
Im Jahr 2003 war ich für vier Monate im Psychiatrischen Krankenhaus Therapiezentrum Ybbs an der Donau, wo ich viele Therapien machte, mit der Zeit auch wieder mit Psychopharmaka behandelt wurde und mich mit Spaziergängen und Tai Chi aufbaute. Dort wurde meine Krankheit von der psychiatrischen Seite her gesehen und die Grunderkrankung für meine körperlichen Beschwerden gesucht. Meine neue Diagnose lautete dissoziative Störung. Im März diesen Jahres verstarb auch meine Heidenreichsteiner Großmutter.
Nach Ybbs hatte ich Sozialbegleitung durch Fr. Größl, später durch Margareta von Pro Mente. Margareta wurde mit der Zeit auch eine gute Freundin. Öfters traf ich mich auch mit Christine von der Selbsthilfegruppe. Im Regenbogenhaus lernte ich Gerlinde, Charly, Silvia und auch andere kennen, mit denen ich viel unternahm. Psychiatrisch betreut wurde ich ab nun von der Sozialpsychiatrischen Ambulanz der Psychosozialen Dienste im 16. Bezirk. Ich hatte dort auch eine Zeitlang Einzel- und Gruppentherapie. Außerdem machte ich eine Gruppe für Fibromyalgie-Patienten betreffend „Achtsamkeit“ mit, die von Ulrike Tiefenthaler-Gilmer, einer sehr guten Therapeutin geleitet wurde. Bis heute haben wir noch weiter Achtsamkeitstraining bei Ulrike in längeren Abständen.
2004 war ich noch einmal für knapp drei Monate in Ybbs. Die Therapien und die ganze Situation dort helfen mir immer wieder sehr. Inzwischen suchte Martin eine Weile nach einer Lehrstelle und wurde dann vom AMS als EDV-Techniker ausgebildet. Obwohl er mit gutem Erfolg abgeschlossen hatte, sucht er bis heute noch nach einer Arbeitsstelle.
2005 suchte ich nochmals um Berufsunfähigkeitspension an, diesmal nicht nur mit der Fibromyalgie, sondern auch mit den psychiatrischen Diagnosen, und diesmal ging es durch – befristet auf zwei Jahre. (2007 wurde sie auf weitere zwei Jahre bewilligt.) Das war eine Erleichterung, die Existenz war wenigstens gesichert. Martin leistete dann seinen Zivildienst bei der Lebenshilfe mit der Betreuung Behinderter ab. Ich hatte wieder gelernt, mich zu verlieben – in Thomas – einen Mann, der meine Liebe leider nicht wert war und mich belog und betrog. Als ich das erkannte, trennte ich mich von ihm nach einem Dreivierteljahr Beziehung.
2006 war ich wieder in Ybbs – diesmal für mehr als vier Monate – wo ich mich sehr wohl fühlte. Ich lernte dort im August meinen jetzigen Freund Andreas kennen, einen sehr lieben Menschen, der nur leider eine Suchtkrankheit hat. 2007 war ich nochmals drei Monate in Ybbs – jetzt gleich von Anfang an gemeinsam mit Andreas. Danach wurde ich psychotherapeutisch beim Dialog betreut – einer Anlaufstelle für Drogenkranke und deren Angehörige – da meine vorige Therapeutin die Therapie abgebrochen hatte. Beim Dialog lernte ich Tina Deutenhauser kennen und schätzen, die auch heute noch meine Therapeutin ist (wenn auch nicht mehr beim Dialog). Außerdem machte ich zweimal ein Partnerinnen-Seminar für Angehörige von Suchtkranken mit.
Mit Andreas verlebe ich jetzt seit bald zwei Jahren eine oft sehr glückliche, aber auch eine sehr schwierige Zeit. Wir beide lieben einander sehr, haben aber eigene Wohnungen und wollen nicht zusammenziehen, doch wir sehen uns sehr oft. Nach verschiedenen Auf und Abs haben wir uns jetzt wieder zusammengefunden und werden in kurzer Zeit gemeinsam auf Kur nach Bad Harbach fahren.
Im Moment bin ich ganz zufrieden mit meinem Leben. Mein Sohn Martin ist jetzt dreiundzwanzig und wohnt immer noch bei mir. Ich liebe ihn sehr und verstehe mich mit ihm zum Glück recht gut. Ich wünsche ihm, dass er bald Arbeit findet. Zu unserem kleinen Haushalt gehört seit ein paar Jahren auch eine Katze. Sie heißt Kitty, ist sehr lieb und etwas scheu. Sie hatte in ihrem Katzenleben schon sehr schlimme Zeiten erlebt und wird bei Martin (ihrer wichtigsten Bezugsperson) und mir so richtig verwöhnt.
Ich schreibe ein bisschen und nehme an der Redaktionssitzung des Regenbogenhauses teil. Dort kann ich meine Texte vorlesen und in den Regenbogen-Nachrichten veröffentlichen. Auch bei anderen Aktivitäten in diesem psychosozialen Tageszentrum nehme ich öfters teil. Ich treffe dort auch einige meiner lieben Freunde.
In meinem Leben hat es bisher viele Veränderungen, Einschnitte, Schmerzen und Belastungen gegeben, aber auch sehr viel Schönes, viel Entwicklung und viel Erfahrung. Mit meiner Krankheit (körperlich und seelisch) kann ich mittlerweile recht gut umgehen. Natürlich gibt es noch Phasen, in denen ich niedergeschlagen bin, und solche, in denen mir meine Gedanken zu schnell laufen und leicht alles zu viel wird, außerdem noch jede Menge Schmerzen, wenn auch weniger als früher. Ich möchte aber wirklich keine Erfahrung missen, denn alles, was ich erlebt habe, hat mich geprägt und aus mir den Menschen gemacht, der ich heute bin.
Susanne
2008-06-05