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Sumahel

Ausguck

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1

Mittwoch, 9. November 2005, 16:20

Eigenes Literarisches

Zwar sind wir hier kein Literatur-Forum, aber hier ist ja Off Topic, daher möchte ich euch einen meiner Texte hier vorstellen. Ich freue mich über jede Rückmeldung (Kritik, Meinungsaustausch, Anregungen etc.). Bei Interesse gibt es mehr (keine Angst, allzu viele Texte sind es nicht, die ich geschrieben habe, eigentlich nur ein paar wenige).

Vorwort

Obwohl ich selbst noch keinen Beitrag für die Regenbogenhausnachrichten geschrieben hatte, habe ich schon einige Male an der Redaktionssitzung teilgenommen. Gerne habe ich mir die Beiträge angehört und meinen Kommentar dazu abgegeben. Auch beim Herstellen der Zeitung (beim Kopieren) war ich schon dabei. Für Autoren, die ihre Beiträge nicht selbst am Computer abtippen können, habe ich es übernommen, das zu tun.
Ich bewundere es, wie andere ihre Gedanken und Gefühle zu Papier bringen können. Mir selbst fällt das nicht so leicht. Doch es gab schon (abgesehen von der Schule) ein paar Momente in meinem Leben, in denen ich es geschafft habe. Einen Text, den ich vor ungefähr 12 Jahren geschrieben habe, möchte ich euch vorstellen – meine damaligen Gedanken und Empfindungen mit euch teilen.
Ich hatte vor circa 13 Jahren eine schwere psychotische Phase. Zu Anfang erlebte ich sie als sehr beglückend, bewusstseinserweiternd und bereichernd. Sie beendete nämlich eine lange Zeit von Depressionen. Ich erlebte den Beginn wie eine Erleuchtung – ein Aufwachen – einen Aufbruch – eine Wiedergeburt.
Das war natürlich nur eine Seite der Psychose, ich erlebte später auch unvorstellbare Ängste und andere sehr unangenehme Auswirkungen und natürlich auch wieder Depressionen. Doch unter dem Eindruck dieses gewaltigen Aufwachens schrieb ich 1993 das folgende Märchen.

DAS MÄRCHEN VOM SCHACHTELKIND

Es war einmal ein Kind, das in einer engen, schwarzen Schachtel lebte. Es saß darinnen zusammengekauert und konnte sich kaum bewegen. Drinnen war es ganz dunkel – tiefschwarz. Es war eingehüllt von Dunkelheit. Das war seine ganze Welt – es kannte nichts anderes – kein Licht, keine Farben, keine Blumen, keine Bäume, keine Schmetterlinge und keine anderen Menschen. Aber das machte ihm nicht soviel aus, denn es kannte ja nichts anderes. Dieses Kind war ganz allein. Es war einsam, doch das wusste es gar nicht. Für dieses Kind war die schwarze Schachtel alles, was es kannte, und dadurch seine ganze Welt. Nur manchmal – in seinen Träumen – da konnte es sehen und laufen und springen und lachen und weinen und fühlen. Es konnte sogar fliegen und zaubern und auch lieben. Doch es kam gar nicht auf die Idee, dass solche Träume auch Wirklichkeit werden konnten.
So lebte es sehr, sehr lange Zeit in dieser Schachtel. Es hatte sich an seine dunkle Welt gewöhnt und sich schon längst damit abgefunden. Es begann sogar, die Schachtel, die Enge, die Dunkelheit und die Einsamkeit lieb zu gewinnen. Sie gaben ihm eine gewisse Sicherheit. Irgendwie fühlte es sich darin sogar geborgen.
Doch mit der Zeit wurde das Kind immer trauriger. Es fühlte sich gefangen und eingeschränkt. Es verstand nicht, wozu es überhaupt auf dieser Welt war. Und oft wünschte es sich zu sterben. Auch seine Einsamkeit wurde ihm jetzt langsam bewusst. Dabei wollte es so gerne andere Menschen kennen lernen, mit ihnen reden, spielen, lachen, weinen, fühlen und denken. Doch es hatte kaum mehr Hoffnung, dass es das jemals wirklich könnte. Es lernte zu weinen. Und es weinte sehr viel in dieser Zeit. Es dachte auch sehr viel nach – über sich und seine Welt und über seine Träume. Doch niemand war da, mit dem es seine Gedanken teilen konnte.
Aber so nach und nach wuchsen in ihm ganz neue Gefühle. Es wurde unzufrieden und verärgert. Es begann, seine Schachtel zu hassen. Es wurde richtig wütend und schrie seinen Zorn hinaus.
Und plötzlich entdeckte es einen winzigen Riss in der Wand seiner Schachtel, durch den ein schwaches Licht hereinstrahlte. Da tauchten plötzlich Bilder, Ahnungen und vage Erinnerungen an eine längst vergessene Welt auf, die es sonst nur in seinen Träumen gab. Auf einmal brachen in ihm Empfindungen auf, die es schon längst vergessen hatte. Es fing an sich zu bewegen und dann – vor lauter Wut über seine eigene Blindheit und vor lauter Freude, dass es tatsächlich noch eine Welt außerhalb der Schachtel gab und dass diese Welt noch viel größer und schöner war, als das Kind es sich jemals erträumt hatte – sprang es mit einem Satz auf und hatte auf einmal gar keine Angst mehr, sich an den Wänden der Schachtel zu verletzen. Dieses Aufspringen war so kräftig und so gewaltig und so voller Energie, dass die ganze schwarze Schachtel in tausend kleine Stücke zerbarst.
Da stand das Kind auf einmal mitten in einer wunderschönen, bunten Blumenwiese, und direkt über ihm war die Sonne mit ihrem strahlend hellen, gleißenden und wärmenden Licht. Dieses Licht hüllte es ein wie ein kuscheliger, weicher, warmer Mantel. Nachdem es eine Weile so dagestanden war und die Wärme und das Licht genossen hatte, begann es sich umzusehen. Es ging mit bloßen Füßen durch die Wiese und fühlte das noch feuchte Gras. Dann wanderte es durch Auen und Wälder, schwamm durch einen kleinen Teich und bestieg einen Berg. Es bewunderte und bestaunte seine neue Welt und fühlte sich wie neugeboren. Das Kind betrachtete die Blumen, die Bäume, die Sträucher und all die anderen Pflanzen in ihrer bunten Vielfältigkeit. Es entdeckte die Tiere und beobachtete sie – zuerst die ganz kleinen Tiere wie Raupen, Käfer, Schmetterlinge, Bienen und Spinnen. Dann sah es auch größere Tiere wie Kaninchen, Katzen, Hunde, Eulen, Schwalben und Fische. Schließlich lernte es auch die Pferde, die Kühe, die mächtigen Elefanten, die eleganten Panther, die Krokodile und noch viele andere Tiere mehr kennen.
Und endlich traf es auch auf andere Menschen – junge und alte, große und kleine, schöne und hässliche, kluge und dumme. Das Kind war überrascht von der Herzlichkeit, mit der es von den meisten von ihnen empfangen wurde. Es hatte ja selbst soviel zu geben. Es hörte zu, was sie erzählten, und konnte von ihnen soviel lernen. Aber es erzählte auch viel von sich selbst, und einige hörten ihm sehr interessiert zu. Es gewann viele Menschen sehr lieb. Es schloss Freundschaften, und auch seine Freunde liebten es sehr. Endlich fand es auch einige Menschen, die ähnliche Gedanken hatten, wie es selbst und mit denen es über seine Gedanken sprechen konnte. Das Kind begriff auch, dass es nicht das einzige Schachtelkind war und dass es ganz verschiedene Arten von Schachteln gab. Auch die Möglichkeiten, aus der Schachtel herauszukommen, waren vielfältig.
So erlebte das Kind eine ganze Weile eine sehr glückliche Zeit. Es lernte aber auch Schmerz und Trauer, Krankheit und Leid kennen. Aber es wusste, dass auch diese Dinge wichtig und notwendig und Teil dieser großen weiten Welt waren, so wie auch Geburt und Tod das Leben überhaupt erst ermöglichen. Außerdem begriff es, dass es die Geburt seiner Welt nie so überwältigend und unbeschreiblich schön erlebt hätte, wenn es nicht vorher so lange in seiner engen schwarzen Schachtel gewesen wäre.
Wenn ihr jetzt glaubt, dass das Kind für immer in dieser schönen Welt blieb und glücklich war, dann muss ich euch leider enttäuschen. Das Kind baute sich immer wieder eine neue schwarze Schachtel, war wieder gefangen und vergaß vieles. Aber immer wieder kam auch der Moment, wo es die Schachtel wieder aufsprengte. Und diese Geschichte wiederholte sich mehrere Male.
Doch das Kind wurde älter und reifer und lernte sehr viel. Es bekam auch viel Hilfe von seinen Freunden. Es lernte auch, Hilfe zu suchen und anzunehmen. Einmal begleiteten es drei Glühwürmchen in seine Schachtel, damit es dort nicht ganz so dunkel war. Das Kind nahm sich auch Erinnerungsstücke mit in seine Schachtel, damit es die Welt draußen nicht wieder ganz vergaß. Zum Beispiel eine Muschel, die ihm ein Fisch geschenkt hatte, und eine Rose, die es von einem sehr lieben Freund bekommen hatte. Ein anderer Freund malte für das Kind ein Bild von der wunderschönen Blumenwiese, die es besonders liebte. Mit so vielen lieben Erinnerungen war es nicht mehr so schlimm in der schwarzen Schachtel, und das Kind blieb auch nicht mehr so lange drinnen. Oft bohrte es auch von innen ein paar kleine Löcher in die Schachtelwände, damit es hinausspähen konnte. Das Kind lernte auch, besser zu hören. Es achtete auf alle Geräusche, die von außen kamen. Doch das war sehr schwierig, denn durch die Wände konnte man nicht sehr viel hören. Manchmal, wenn es schon sehr lange drinnen geblieben und eingeschlafen war, trompetete der Elefant so laut er nur konnte, um das Kind aufzuwecken. Aber soviel ihm seine Freunde auch halfen, war ihm doch ganz klar, dass es seine Schachtel nur ganz allein aufsprengen konnte.
Wenn ihr wissen wollt, wie diese Geschichte weitergeht, kann ich leider auch nur Vermutungen anstellen. Vielleicht wird das Kind die Schachtel einmal überhaupt nicht mehr brauchen. Möglicherweise wird es aber immer wieder Zeiten geben, in denen es sich in die Schachtel zurückzieht, aber seltener und kürzer. Und vielleicht lernt es ja auch, den Deckel einen Spalt offen stehen zu lassen.
Und irgendwann wird es erkennen, dass auch die große, schöne, weite Welt nur eine riesige Schachtel ist. Um sie aufzusprengen und in eine noch schönere, größere und unvorstellbare Welt zu gelangen, muss es allerdings warten, bis es stirbt.

Susanne

Falke

Insel-Eroberer

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2

Mittwoch, 9. November 2005, 22:55

Eine nette Geschichte, die gut zu lesen ist.
Sie geht ein wenig in psychologische Gefielde (Stichwort Black Box) und beschreibt einige Problematiken recht gut.

Schreib mehr davon. =)

Ich habe mich meinerseits auch an einer Geschichte versucht. Sie hat aber einen komplett anderen Hintergrund. Wer mal lesen möchten, kann sie gerne hier begutachten.
  Falke

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kreon

Rätsel Onkel

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3

Donnerstag, 10. November 2005, 01:02

Auch ein paar Worte von mir dazu:

Anfangs hab ich ja etwas gestutzt - ein Märchen? naja.
Beim Lesen hat es mir jedoch zunehmend gefallen. Obwohl oder gerade weil es eine düster-traurige und eine optimistisch-positive Komponente gibt.
Der Schluss - wenn ich ihn richtig interpretiere - hat für meinen Geschmack eine zu starke Tendenz ins Religiöse. Die endgültige, schöne Welt erst nach dem Tod? In irgendeinem undefinierten Jenseits? Keine Perspektive im Diesseits? Aber das ist wohl eine Sache der persönlichen Einstellung.
Dabei gibt es in der Geschichte doch selbst genügend Ausbrüche ins Positive. Das Kind macht doch die Erfahrung, dass ein Weg aus dem Eingeschlossensein möglich ist. Die berühmte Frage von und an Erich Kästner "Wo bleibt das Positive?" findet doch eine Antwort: Man kann es finden, wenn man akzeptiert, dass es auch das Negative gibt. Aber es ist eben eine sehr persönliche Geschichte. Und da hat jeder seine eigene Sichtweisen und Stimmungslagen.
Die von dir vorangestellte persönliche Vorgeschichte hätte es meiner Ansicht nach gar nicht wirklich gebraucht. Die Geschichte und ihren Hintergrund hätte man auch so gut verstanden.

Mir hat sie jedenfalls gefallen.

Einen Link zu einer Geschichte von mir gibt es nicht. ;) Vielleicht liegt es daran, dass man etwas die Lust am Schreiben verliert, wenn man es jeden Tag als Beruf macht.

Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von »kreon« (10. November 2005, 01:13)


Bomi

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4

Donnerstag, 10. November 2005, 04:35

Yo, man...

Mich hat diese Geschichte - ich möchte das nicht als Märchen bezeichnen, das wird dem nicht gerecht - ziemlich berührt und aufgewühlt, streckenweise auch etwas traurig gemacht. Es fällt mir auch ziemlich schwer, eine Geschichte, in der ein Mensch andere so eindrücklich an einer Lebenssituation teilhaben läßt, quasi sein Innerstes nach außen kehrt, zu kommentieren oder gar zu kritisieren. Man kann einfach nicht sagen "Das ist eine schöne Geschichte" oder "Das ist keine schöne Geschichte" - es ist Deine Geschichte; und weil sie Dir geholfen hat, etwa Erlebtes zu verarbeiten, ist es letztlich doch eine schöne Geschichte.





Achja - die Geschichten, die ich früher mal geschrieben habe :D
  ATH, Bomi

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Sumahel

Ausguck

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5

Freitag, 11. November 2005, 13:42

Ich danke euch dreien für eure Kommentare und aufmunternden Worte.
Ich befürchtete schon, es würde gar keine Rückmeldung kommen, oder nur eine, dass das hier in der Annozone unpassend wäre.

@Falke, deine Geschichte werde ich ganz bestimmt noch lesen (muss sie mir erstmal ausdrucken) und dir eine Rückmeldung geben.

@kreon, der Schluss meiner Geschichte von vor 13 Jahren gefällt mir aus meiner jetzigen Sicht eigentlich auch nicht mehr. (Himmel und Hölle machen wir uns hier auf dieser Erde.)

@Bomi, mein Innerstes nach außen zu kehren und andere an meiner ganz persönlichen Lebenssituation teilhaben zu lassen, macht mir gerade nach meinen vielen schwierigen Erfahrungen gar nichts mehr aus.

Nun ein weiterer Text aus jüngerer Vergangenheit:


ALLES, WAS DIE SEELE ERSCHÜTTERT, IST GLÜCK

Seit ungefähr neun Jahren habe ich eine chronische Schmerzkrankheit namens Fibromyalgie. Seit mindestens sieben Jahren kenne ich keinen Tag, keine Stunde und keine Minute mehr ohne Schmerzen. Die Kopfschmerzen begleiten mich ständig. Außerdem habe ich Schmerzen im Nacken, in den Schultern, in Brust und Rücken, im Kreuz, in den Hüften und in den Füßen – also eigentlich im ganzen Körper. Es gibt aber etwas Abwechslung in der Heftigkeit und dahingehend, dass es immer andere Bereiche sind, die am meisten betroffen sind. Zur Fibromyalgie gehören außerdem Phasen der Müdigkeit und Schwäche, Erschöpfungszustände, Schlafstörungen, Verdauungsstörungen, Konzentrationsstörungen, Depressionen und noch viele andere Symptome, die mit dem vegetativen Nervensystem zu tun haben.

Außerdem bin ich auch psychisch krank. Meine derzeitigen Diagnosen lauten teilkompensierte schizo-affektive Störung und dissoziative Störung. So genau kann ich das selbst nicht beschreiben, aber es gibt jedenfalls Phasen, in denen mir meine Gedanken zu schnell dahinrasen und mehrspurig laufen, Zeiten, in denen ich in mir verschiedene Persönlichkeitsanteile gleichzeitig spüre, solche in denen ich unruhig bin und viele Reize von außen nur schwer verkrafte. Dann gibt es auch wieder lange Zeiten der Depression, der Verlangsamung des Denkens, der Abgestumpftheit, des Abgestorbenseins, der Verkümmerung fast jeglicher Kreativität und Lebensfreude. Probleme gibt es auch mit der Konzentration und oft auch mit meinen Erinnerungen. Auch hier gibt es noch weitere Symptome, die mir im Moment gar nicht alle einfallen (siehe Probleme mit Erinnerungen).

Durch meine Krankheit (vor allem durch die Schmerzen und die Auswirkungen auf das Denken) habe ich vor fünf Jahren meine Arbeit als EDV-Programmierer (Software Engineer) in der Creditanstalt-Bankverein verloren, wo ich mit 25 Stunden pro Woche immer noch sehr gut verdient hatte. Mittlerweile leben mein Sohn und ich von der Notstandshilfe. Seit ich länger im Krankenstand bzw. dann arbeitslos war, begannen mühsame und kraftraubende Begegnungen mit dem Gruppenarzt der Krankenkasse und mit AMS-Betreuern. Ich pendelte zwischen Arbeitslosigkeit und Krankenstand hin und her, bis ich um Berufsunfähigkeitspension ansuchte, abgelehnt wurde und beim Arbeits- und Sozialgericht klagte. Da wurde es erst richtig anstrengend und absurd. Es gab sinnlose und viel Nervenkraft raubende Begutachtungen durch voreingenommene, vom Gericht bestellte Gutachter. Zuletzt wurde mir amtlich bescheinigt, dass ich ganztags voll arbeitsfähig wäre und das auch noch unter besonderem Zeit- und Leistungsdruck.

In meinem Leben gab es auch noch viele andere Probleme, Turbulenzen und Schicksalsschläge. Dennoch verzweifle ich nicht an meinem Leben. Im Gegenteil, hier und jetzt möchte ich mich dafür bedanken – für alle Schwierigkeiten und für meine Krankheit – die schönen Momente, die Freunde, die Liebe und vor allem natürlich meinen Sohn nicht zu vergessen. Aber ich will mich im Augenblick ganz besonders für die sogenannten negativen Dinge bedanken, denn alles, was den Menschen ganz tief in seinem Inneren bewegt, ist Bewegung, ist Leben, ist Chance, ist Entwicklung, ist Glück. Nur was das Innerste in unserem Wesen anrührt, ist wirklich wichtig. Ich weiß nicht mehr, von welchem großen Dichter und Denker der folgende Ausspruch stammt:

Alles, was die Seele erschüttert, ist Glück!

Jedenfalls glaube ich, dass alles im Leben seinen Sinn hat, seinen Grund und vor allem seinen Zweck. Alles ist Möglichkeit, sich zu entwickeln, etwas zu lernen, etwas daraus zu schöpfen – auch wenn wir gar nicht immer so genau wissen, was. Ich wäre jedenfalls nicht der Mensch, der ich heute bin, wenn ich nicht meine Erfahrungen gehabt hätte. Und ich habe vieles gelernt – zum Beispiel an Ausdauer, an Geduld, an Verständnis, an Verzeihen, an Demut, an Selbstvertrauen, am Anzapfen und Wiederaufbauen von Kraftreserven und noch vieles andere mehr. Wenn man lernt, sich selbst Verständnis entgegen zu bringen, mit sich selbst Geduld zu haben, sich selbst zu verzeihen, sich selbst zu vertrauen, lernt man auch andere zu verstehen, mit ihnen geduldig zu sein, ihnen zu verzeihen und ihnen zu vertrauen. Ich habe sehr viel Kraft entwickelt, die ich zuweilen auch weitergeben kann.

Natürlich denke ich nicht immer so positiv darüber und habe auch meine zweifelnden Momente, aber ganz tief drinnen besteht eine innere Gewissheit um diese Dinge, die so etwas wie Naturgesetze sind – eine kosmische Ordnung – eine übergeordnete Liebe. Und irgendwie kommt manchmal der Gedanke auf, dass man sich genau das Schicksal ausgesucht hat, das man bekommen hat. Jedenfalls passiert genau das, was notwendig ist, man lernt und erfährt genau das, was man braucht, was einem letztlich gut tut.

Zum Abschluss noch zwei Gedichte, die mir in schlimmen Zeiten viel Kraft gegeben haben:

Trau dir zu,
mit Gott zu ringen,
solange die Nacht währt,
in der du reifen kannst.

Über deinen Narben,
die als Zeichen bleiben,
wird dir am Morgen
sein Segen aufstrahlen.

(Georg Fröschl)


Wunden

Wer gelitten hat,
wird verstehen können.
Wer verwundet war,
wird heilen können.
Wer geführt ist,
wird weisen können.
Wer getragen ist,
wird tragen können.

(Autor ist mir unbekannt)


Susanne
August 2005

Falke

Insel-Eroberer

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6

Freitag, 11. November 2005, 14:07

Zitat

Original von Sumahel
...
@Falke, deine Geschichte werde ich ganz bestimmt noch lesen (muss sie mir erstmal ausdrucken) und dir eine Rückmeldung geben.

...

Susanne
August 2005


Ich bitte um die Rückmeldung. :)
Allerdings sind das noch lange nicht alle Kapitel, die ich noch habe. Da kommen noch einige.
  Falke

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Sumahel

Ausguck

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7

Samstag, 12. November 2005, 13:34

@Falke:

Hab deine "Erinnerungen eines Jägers" (zumindest diese ersten drei Kapitel) jetzt gelesen und bin davon sehr angetan. Es ist dir sehr gut gelungen, die Anno-Szenerie und -Zeit lebendig werden zu lassen. Bin schon sehr gespannt, wie es mit der Familie des Jägers und mit Annoburg weitergeht.

Irgendwie dachte ich nach dem Vorwort, es käme was mit einem Schicksalsschlag im ersten Teil, jedoch wohl erst in einem späteren Kapitel.

Der Stil des Textes erinnerte mich an ein Filmdrehbuch oder an ein Theaterstück. Hast du in dieser Richtung etwas vorgehabt?

(Nur so ein Tipp am Rande: Obwohl zwar das Literarische an erster Stelle steht, wäre es vielleicht doch gut, wenn du deinen Text von einem Rechtschreibkundigen korrekturlesen ließest.)

Sumahel

Ausguck

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8

Samstag, 12. November 2005, 14:39

Hier noch ein weiterer, diesmal kurzer, sehr positiv gestimmter Text:

Vorwort

Noch einen Text – diesmal aus der jüngeren Vergangenheit - möchte ich euch vorstellen. Er wurde von mir im März 2003 geschrieben. Ich war in einer guten Phase, einer Zeit des Wieder-Auflebens und der Hochstimmung – ich hatte mich wieder gefunden - ich war die Buddha-Frau.


GLÜCK


... und plötzlich wusste ich:

Meine ganze Angst vor dem Wahnsinnigwerden war nur die Angst vor dem Glücklichsein!

Und da lachte ich zum aller ersten Male aus vollem Herzen eine kleine Ewigkeit lang.

Endlich wusste, erkannte, spürte und vor allem fühlte ich Glück und unbändige Lebensfreude, und meine ganze Angst war so lächerlich.

Ich lachte und lachte, und ich war das Lachen selbst, die Freude, die Heiterkeit, der Humor und das Glück.

Ich verstand noch tiefer, dass es lediglich bedurfte, loszulassen, mich zurückzunehmen, mich anzuvertrauen und fallen zu lassen, um die göttliche Macht in mir walten zu lassen, sie zu fühlen und sie zu sein.

Ich lachte und lachte und schüttete mich aus vor Lachen, und ich war ein Gefäß ganz erfüllt von Glückseligkeit – ich war die Glückseligkeit selbst.

Und das ist tatsächlich und vor allem wirklich geschehen – irgendwo in dem unendlichen Raum zwischen hier und jetzt.

Susanne

Falke

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9

Samstag, 12. November 2005, 16:52

Zitat

Original von Sumahel
@Falke:

Hab deine "Erinnerungen eines Jägers" (zumindest diese ersten drei Kapitel) jetzt gelesen und bin davon sehr angetan. Es ist dir sehr gut gelungen, die Anno-Szenerie und -Zeit lebendig werden zu lassen. Bin schon sehr gespannt, wie es mit der Familie des Jägers und mit Annoburg weitergeht.

Irgendwie dachte ich nach dem Vorwort, es käme was mit einem Schicksalsschlag im ersten Teil, jedoch wohl erst in einem späteren Kapitel.

Der Stil des Textes erinnerte mich an ein Filmdrehbuch oder an ein Theaterstück. Hast du in dieser Richtung etwas vorgehabt?

...


@Sumahel: Danke! Es freut mich, das es gefällt. :)

Der Schicksalsschlag kommt auch noch. Wie bei jeder Geschichte kommt aber zuerst eine Einleitung, damit sich der geneigte Leser mit der Szenerie und dem Umfeld der Hauptpersonen vertraut machen kann.

Weder noch.
Es handelt sich um die Vorgeschichte des Charkters Falke aus dem Rollenspiel von Annopolis des öffentlichen 1503-Forums.
Der Text ist nach den ungeschriebenen Richtlinien von Rollenspielen auf Forenbasis verfaßt.
  Falke

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Sumahel

Ausguck

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10

Sonntag, 13. November 2005, 13:37

Was sagt ihr zu meinen Texten "Alles, was die Seele erschüttert, ist Glück" und "Glück"?
Interessiert das denn wirklich niemanden?

Patja

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11

Sonntag, 13. November 2005, 14:04

Hallo Susanne,

also vorweg erst einmal: Ich finde Deine Texte wundervoll. Und ich graturliere Dir für Deinen Mut, sie hier reinzustellen.

Ich frage mich nur so ein wenig, warum Du diese Texte hier reinstellst. Allein, um sie literarisch begutachten zu lassen :), sind sie viel zu persönlich (ich schließe mich da ganz der Meinung von Bomi an). Geht es Dir darum, mal über diese Themen zu diskutieren? Oder sie anderen bewußt zu machen? Geht es Dir darum, vielleicht noch selber etwas aufzuarbeiten?

Weißt Du, ich lese sie und weiß nichts dazu zu sagen, obwohl ich mich selber schon seit vielen Jahren intensiv mit geistigen/spirituellen Themen auseinandersetze. Ich könnte mich besser dazu äußern, wenn ich Deine Absicht dahinter verstehen würde. Vielleicht magst Du noch etwas darüber sagen?

Viele Grüße
Patja

Sumahel

Ausguck

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12

Sonntag, 13. November 2005, 14:20

@Patja:

Ich danke dir für deine Meinung!

Zu meinen Absichten:
In erster Linie ging es mir schon darum, sie literarisch begutachten zu lassen bzw. meine (zugegeben sehr persönlichen) Texte mit euch einfach zu teilen. Ich hab' auch kein Problem damit, wenn meine persönlichen Texte literarisch kritisiert werden. Ich hätte hier durchaus gerne ein Feedback.

Es ist natürlich auch sowas wie ein Outing über meine eigene Person. Man schreibt hier in der Annozone, diskutiert, rätselt und witzelt, und glaubt sich zu kennen. Ja, ich glaub', ich wollte wohl auch mal meinen persönlichen Hintergrund etwas darstellen.

Es geht mir auf jeden Fall darum, diese Themen auch anderen (die daran interessiert sind) bewusst zu machen. Wer darüber diskutieren will, nur zu - ich bin gerne bereit!

Liebe Grüße
Susanne

Patja

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13

Sonntag, 13. November 2005, 14:30

Hallo Susanne,

schön, dann mal los ;):

Es geht mir hier vor allem um den Begriff "Glück". Ich würde ihn in dem Zusammenhang, in dem Du ihn gebrauchst, lieber mit "Freude" ersetzen. "Glück" ist inzwischen derart besetzt mit der Meinung, daß man nur dann Glück hat, wenn man dieses oder jenes hat/besitzt oder man bestimmte Erlebnisse hat.

Freude hingegen ist (zumindest für mich) etwas, was wirklich aus mir heraus kommt und kann (bzw. sollte sogar) auch völlig unabhängig sein von dem, was außen um mich herum geschieht.

Diese Freude habe ich auch ohne "Erschütterung der Seele". Einfach, indem ich Freude statt Angst wähle.

Liebe Grüße
Patja

Sumahel

Ausguck

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14

Sonntag, 13. November 2005, 14:58

Glück mag ja wirklich falsch besetzt zu sein, trotzdem scheue ich mich nicht, den Begriff im eigentlichen Sinne zu benützen.
Im Sinne von "glücklich sein" bei dem Text "Glück" und im Sinne von "Glück haben" beim Text "Alles, was die Seele erschüttert, ist Glück".
Bei letzterem Ausspruch wird der Begriff wohl sehr gewagt weit interpretiert. Aber gerade das gefällt mir daran.
Dass einige mit "Glück" etwas ganz anderes assoziieren (Gewinn, Geld, Prestige etc.), dafür kann ich nichts.
"Freude" ist auch sehr schön, bezeichnet aber meiner Meinung nach ein bisschen etwas anderes. Beim Text "Glück" über das Lachen könnte man wohl vielleicht auch den Titel "Freude" nehmen - ist mir aber doch auch weniger als "glücklich sein".
Beim Text "Alles, was die Seele erschüttert, ist Glück" geht es um das Schicksal, und da kann ich Freude keinesfalls verwenden.

Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von »Sumahel« (3. Juli 2006, 14:43)


Patja

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15

Sonntag, 13. November 2005, 15:03

Da muß ich dir jetzt mal eine Verständnisfrage stellen:

Zitat

Alles, was die Seele erschüttert, ist Glück


Soll das bedeuten, daß es ein Glück für mich ist, wenn etwas geschieht, das die Seele erschüttert (egal aus welchen Gründen); also in dem Sinne ein Glücksfall?

Sumahel

Ausguck

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16

Sonntag, 13. November 2005, 15:06

Nun ja, das ist wohl wirklich schwierig zu verstehen - der Ausspruch selbst stammt auch nicht von mir - aber ja.
Gemeint ist, das nur was uns im Inneren bewegt - egal ob positiv oder negativ - uns im Endeffekt weiterbringt, wirkliches Leben ist. Man hat Glück auch mit seinen Schicksalsschlägen, weil sie die Chance beinhalten, daran zu reifen.
Starker Tobak, im weiß.
Verstehen kann man das nur dann so richtig, wenn man schwere Schicksalsschläge kennt und immer noch nicht daran verzweifelt ist.

Patja

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17

Sonntag, 13. November 2005, 15:16

Nun ja, es ist nun mal tatsächlich so, daß es momentan vor allem diese Dinge sind, die uns weiterbringen (können). Aber ich glaube, daß man irgendwann einmal eine Ebene erreichen kann, wo man zur Weiterentwicklung keine "Erschütterungen der Seele" mehr braucht.

Du hast auch geschrieben, daß Du manchmal denkst, daß wir uns das Schicksal, das wir erleben, ausgesucht haben. Ich bin jedenfalls fest davon überzeugt. Wenn man die Liebe, die hinter allem steckt, zu spüren gelernt hat, dann, so glaube ich, ist man so weit, daß man diese Schicksalsschläge nicht mehr braucht. Dann kann man sich in Liebe und Freude weiterentwickeln.

Und es ist letzten Endes alles nur eine Frage der Beurteilung, ob wir etwas als positiv oder negativ empfinden. Man kann einen schweren Schicksalsschlag sehr wohl auch als positiv empfinden - es liegt letzten Endes bei einem selber, wie man ihn beurteilt.

Und noch eine Bemerkung: Für mich ist Freude etwas höheres als Glück ;). Daher wahrscheinlich unsere unterschiedliche Sichtweise :)

Falke

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18

Sonntag, 13. November 2005, 16:30

Das mit den Schicksalsschlägen ist so eine Sache. Es gibt zwei Möglichkeiten, grad wenn sie "negativ" sind. Entweder man arrangiert sich mit den Umständen, oder man zerbricht daran. Was nun geschieht, liegt bei jeder einzelnen Person selber. Die presönliche Einstellung zu diesen Problemen, egal welcher Art spielt dabei eine sehr große Rolle.

@Patja: Leider kann man sich das nicht immer aussuchen. Schicksalsschläge ereilen einen einfach. Da hat man nicht unbedingt Einfluß darauf.
  Falke

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Sumahel

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19

Sonntag, 13. November 2005, 18:21

Es kommt tatsächlich darauf an, wie man mit Schicksalsschlägen umgeht, wie man auf sie reagiert. Man durchlebt natürlich Phasen des Entsetzen, der Angst, der Verzweiflung, des Ärgers, des Zorns usw., bevor man zu einer versöhnlicheren Einstellung (wie in "Alles, was die Seele erschüttert, ist Glück") kommt.

Ich befürchte, die Schicksalsschläge erübrigen sich nicht einfach, auch wenn man die allumfassende Liebe, die dahinter steht, verspürt.

Der griechische Redner Demosthenes unterrichtete seine Schüler, indem er ihnen Steine in den Mund legte und sie gegen die Brandung des Meeres reden ließ. Also erschwerte Bedingungen, um noch besser zu lernen. So kann man Schicksalsschläge auch sehen.

Sumahel

Ausguck

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Sonntag, 13. November 2005, 18:38

Hier noch ein Text, der vielleicht etwas schwerer zu verstehen ist. Nehmt ihn einfach von der humorvollen Seite.

Vorwort

Eine meiner Diagnosen lautet dissoziative Störung. Das ist eine Persönlichkeitsstörung, die unter anderem durch den (vermeintlichen?) Zerfall in verschiedene Persönlichkeitsanteile gekennzeichnet ist. Salopp gesagt, in einem Menschen denken, fühlen und handeln verschiedene Personen – gleichzeitig oder nacheinander – manchmal lange nur eine oder mehrere – dann wieder sehr viele auf einmal. Diese Beschreibung ist jedoch eine Übertreibung des tatsächlichen Zustands. Oft sind mir diese verschiedenen Persönlichkeitsanteile nicht so bewusst, aber manchmal treten sie recht deutlich und zahlreich auf. Unter diesem Aspekt ist der folgende Text, den ich im Mai 2003 geschrieben habe, vielleicht einfacher zu verstehen.


SCHREIBEN


Schreiben.

Schreiben!

Wieso schreiben?
Was ist das?

Schreiben - Lesen – Schrift - Buchstaben - Laute - Symbole - Zeichen – Muster.

Wie denn schreiben?
Wo denn, was denn?
Wer?

Ich, ich, ich!

Wer war das? Niemand! Eh klar!

Und wer schreibt jetzt?

Ein versteckter.
Verschreckter.

Ist weg.

Und du? Wer bist du?

Ich bin da, genügt das nicht?

Warum?

Was warum?

Na, nur weil du ... ist ja wurscht.

Macht nix, bin auch verwirrt.

Gehen wir’s an? Gemeinsam?
Vielleicht helfen uns dann auch noch andere.

Na gut.
Aber was?

Wir wär’s mit uns?

Nein, da verstrudeln wir uns zu sehr.
Ein Thema wär besser.

Hmmm, ... Beziehungen!

Das verdräng’ ich auch schon die ganze Zeit.

Deshalb wär’s ja auch interessant.

Schon, ... eh, ... aber sehr schwierig, gefährlich,
na ja, nicht gerade wirklich gefährlich,
aber für den Anfang zu anspruchsvoll, zu anstrengend,
wir würden uns verlieren,
dann eher was Unverfänglicheres, Grundlegenderes zu Beginn.

Egal, wo wir anfangen, wir gelangen ja doch auch wieder dorthin oder vielleicht zu etwas im Moment viel Wichtigerem.

Wir kommen ohnehin von überall her überall hin!
(Hey, das ist übrigens die wahre, eigentliche, wirk-liche, Bedeutung von „ohne-hin“).

Schluss mit dem Quatsch.

Wo fangen wir an?
Was gibt’s denn für Stichworte?

Versinken in Cairos!

Wow, gefällt mir.

Worum geht’s also?

Cairos und Chronos – griechische Göttermythologie – beides Begriffe für Zeit.

Chronos: gezählte, gemessene, eingeteilte Zeit – Termine, Daten, Kalender - unweigerlich, unaufhaltbar fortschreitende, zerrinnende, vergehende Zeit - hetzen, eilen, hasten, zu spät kommen, Wecker, Uhren, Stunden, Minuten, Sekunden, ticken, Metronom, zählen, Sanduhr, fertig werden, fertig sein, Vergänglichkeit – Ordnung, Struktur, System.

Cairos: zeitlose Zeit – die Zeit vergessen – sich in der Zeit vergessen – verlieren – im Augenblick versinken – im Augenblick die Ewigkeit entdecken ...

Cairos würd’ ich gern noch viel mehr beschreiben (und so auch begreifen und noch mehr spüren) – ist so schön mit ihm zu tanzen – ein wiegender, versinkender, einschläfernder, tranceartiger Tanz ...

Moment mal, Cairos ist ja schon längst bei uns, aber wir wollen uns nicht ganz verlieren, wir wollen ja auch Struktur, Ordnung, schreiben, etwas mitteilen.

Wollen wir das?
Mit-teilen!

Na klar!
Wiss’ ma ja eh!

Wir sind halt sehr redefreudig - etwas tratschsüchtig.
Wir quatschen und verbreiten Informationen so lang, bis möglichst viele von uns Bescheid wissen, einander kennen und sich halbwegs vertragen.

Oder auch nicht.

Manche wollen sich vielleicht gar nicht kennen.
Oder wissen eh schon, dass sie sich nicht leiden können.

Na, ja, aber versuchen kann ma’s ja mal – oder mal wieder.
Wer’n ma scho merken, wenn’s uns prügeln.
Was soll’s!

Und in Wirklichkeit woll’n sie’s doch eh alle.

Was?

Na, Zusammensein – Miteinander Sein – Eins-Sein.

Was bist du denn für eine Figur?

Wieso denn?

Bist du eine Scheinheilige oder träumst du mit offenen Augen?
Ach so, tschuldige, wie alt bist du denn, Kleine?

Na, schau, jetzt rennt’s weg!
Is’ ja auch kein Wunder, so wie du daherpolterst.
Na is’ scho gut, oder bist du jetzt auch traurig?
Ich vergess’ immer, dass du auch net viel älter bist.

Mach ma mal a Pause. Zigarettenpause. Und was essen.

O.k.
Bevor die Kinder heulen.

(Entrüstet) Wir heulen nie!

Eh net, eh klar, wiss’ ma eh, wir respektieren ja nur eure feinen Gefühle.
Also, kurze Pause für alle.

So, jetzt mach ma weiter.

Pause ham ma g’macht – sozusagen - mit dem Schreiben halt.
Zigarette geraucht, Banane gegessen – für die Kinder vor allem – aber Banane mögen eigentlich alle gern – halt viele und die anderen ham nix dagegen – das braucht und verträgt ja auch jeder – überhaupt in anstrengenden Zeiten.
Ist süß, gibt Kraft, baut auf und erdet.

Dann mit Martin telefoniert, und mit Silvia.
Ganz lieb, aber etwas konfus – unsererseits.
Verbindung mit Silvias Handy während der Zugfahrt gestört und dann abgebrochen.
Wollte auch nur kurz Hallo und was Nettes sagen, war dann aber eh schon etwas verwirrt - verworren – verwirrend – anstrengend. Ich war anstrengend, vielleicht.
War dann gut, dass es aus war – im Nachhinein gesehen. Ging eh nicht mehr.
Ruf sie später an – ruhiger – besserer Zeitpunkt.

Besserer Zeitpunkt.
Gibt’s den überhaupt?
So an und für sich?

Na, klar, immer wieder, musst nur drauf warten können, ihn kommen lassen.

Ja, Herr Positiv-Denker, du nerviger Optimist. Du gehst einem zeitweis’ schon sonst-wohin mit deiner Wahrheit. Lass mich mich etwas suhlen in meinem schwarzseherischen Schlamm. Du weißt, dass wir das auch sehr nötig brauchen – wir alle! Seid nur froh, dass ihr mich habt und lasst mich etwas klagen. Ich hab’ mich nicht drum gerissen, Klageweib zu sein, ihr überlasst mir die Drecksarbeit. Und ich werde noch mitleidig-scheinheilig aufgemuntert und getadelt, und ihr sonnt euch in eurer vermeintlichen Überlegenheit.
Aber, ist schon gut so, wenn ich nicht da bin, werde ich euch fehlen.

Jetzt spiel’ ich auf beleidigt.
Ich bin aber eh immer bei euch, ich muss ja aufpassen.

Aber ich bin ja nicht allein.
Wir sind eine ganze Truppe.

Wir sind Klofrauen, die den Dreck wegputzen, Installateure, die verstopfte Abflüsse frei machen, Lastenträger, wie Maulesel, deren einziger Zweck es ist, stark zu sein und zu tragen. Lehrer und Ärzte, Kindergärtnerinnen, Therapeuten, Spaßmacher, Nothelfer, wackere Arbeiter, die den Weg frei machen, Straßen bauen, Verbindungen, Mittelsmänner und echte Kumpel, Priester und Mütter und noch viele mehr.

Aber so blöd ist die Frage nach dem Zeitpunkt wieder auch nicht!
Nicht nach dem richtigeren, besseren, nach der Lage des Punktes innerhalb der Zeitlinie, die im mehr als drei-dimensionalen Raum verschlungen herumtaucht, weil sie nicht zielführend ist ---

Wer hat das geschrieben?
„Weil sie nicht zielführend ist!“ Die Frage? Die Zeitlinie? Die Zeit?
Ziel-führend!
Nicht ziel-führend.
Das ist stark!

--- sondern die Frage nach dem Zeit-punkt an und für sich.
Ein mathematischer Punkt hat unendliche Ausdehnung, ich wollte eigentlich sagen keine Ausdehnung, aber das ist eh das selbe. Ein Punkt nimmt ein Nichts als Raum ein.
Eine mathematische Gerade ist unendlich in ihrer eindimensionalen Ausdehnung.
Sie besteht aus einer unendlichen Anzahl von Punkten – ist also eine unendliche Aneinanderreihung von Nichts.
Ein Zeitpunkt ist also ein Punkt, ein Nichts, ein Alles, ein Eines.
Ein Augenblick ist schon viel länger als ein Zeitpunkt.
Was ist also ein Zeitpunkt?
Sind wir da nicht mittendrin.
Gefangen im Zeitkapsel-punkt, der die Zeit-Linie, die Zeit-Bahn entlangläuft?
Fragen, die uns tief hineinführen in den Punkt – auf den Punkt zuführen – ganz drinnen steht die Zeit still – gibt es keine Zeit – sind wir frei von Zeit.
Träume? – Wahrheit? – Wirk-lichkeit!
Zu tief. Zu heiß.
Genug.

Es lässt mich nicht los.
Wer hat geschrieben „Weil sie nicht ziel-führend ist!“?
Ziel-führend.

Wer hat diesen Begriff gefunden?
Ich war nicht dabei.
War überhaupt wer dabei?

Ich hab das ganz un-bewusst geschrieben.
Ich weiß nicht, wer gesprochen hat.

Es muss ein Genie unter uns sein.
Ich trau mich das kaum sagen, weil es so überheblich, selbstüberschätzend klingt.
(Koketterie mit der Scham und der Eitelkeit.)

Aber es stimmt.
Wir wissen es schon lange, und wagen es nicht zu glauben.

Klingt das nicht alles sehr nach psychotischem Größenwahn?

Sowieso – sowieso auch – das ist ja nicht unbedingt ein Widerspruch.

Der is’ aber schon ziemlich schizo!

Was meinst du damit.

Weiß ich auch nicht so genau – zumindest nicht in Worten – aber der is’ sehr tief drin – oder sehr hoch oben – ganz wie du willst – is’ das gleiche.
Jedenfalls is’ er Spitze bei den Worten, den treffenden Begriffen, aber noch tiefer, bei der Bedeutung des Wortes – jeder Silbe schon fast.

Steiger’ di’ net so rein, nachher genierst di’ wieder für dei’ schwärmerische Verehrung.

Na, aber das muss ich schon auch sagen, jemand von uns kann sehr tief zu den Wurzeln der Worte hinabsteigen. Das muss ich fast neidlos anerkennen. Hochachtung! Ist ja auch einer von uns!

Aber der is’ auch mehr weg als da.

Wieso?

Warum weiß ich nicht so genau, aber der lässt sich doch nur sehr selten blicken – blicken lässt er sich eigentlich fast gar nicht – kaum merkst, dass er da sein könnte, müsste, möglicherweise ist, ist er auch schon wieder weg. Gesehen hat ihn eigentlich noch kaum einer, aber viele glauben, ihn recht gut zu kennen. Jedenfalls wissen viele von ihm.
Die, die ihn wirklich kennen, sind jetzt nicht da, ich glaub’, sie schützen ihn, schützen uns, schirmen ihn ab. Er bleibt lieber im Hintergrund. Nein, er muss dort bleiben. Noch. Noch vielleicht. Wenn er kommen will und kann, ist er von uns herzlich eingeladen.

Lange Pause – Blockade – Blockade-Pause.

Nicht wirklich Blockade. Waren viele da. Er nicht. Nur warten. Nicht mehr schreiben können. Müde. Erschöpft.

Was war es eigentlich, womit wir begonnen hatten?

Schreiben.

Ja, er wäre der richtige. Nicht alleine, aber mit uns. Er braucht uns auch dazu, aber wir ihn noch viel mehr. Ohne ihn geht es nicht.

Er wird kommen.
Wir werden sehen.
Und das Gesehene aufzeichnen.


Susanne


P.S.: Ich hoffe, ihr haltet mich jetzt nicht für total verrückt, obwohl man mir eine gewisse Ver-rückt-heit nicht absprechen kann.

(Wer das versteht, wird auch diesen Text verstehen.)

Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von »Sumahel« (13. November 2005, 18:41)