Es war so Mitte der 1980er Jahre, in Hamburg-Lohbrügge, beim damaligen Einkaufszentrum Mendelstraße. Das war allgemein keine Gegend, wo Leute gerne wohnen, würde man heute wohl sagen. Hauptsächlich Hochhäuser, Mehrfamilienhäuser, ein paar davon ausschließlich von Sozialhilfeempfängern bewohnt. Damals von uns lapidar "Asis" genannt, damals gab es für solche Leute "Stütze", kein Hartz IV. Das alles quasi das Gegenteil einer sogenannten "schönen Wohngegend" wie z.B. Blankenese oder Eimsbüttel oder Winterhude...
Und das "Einkaufszentrum" bestand aus einer Ladenzeile, wenn ich es recht hinbekomme wie folgt: am Ende eine Disco, dann ein Grill-Imbiss, daneben ein Bäcker, gefolgt von einem Blumen- und Gemüseladen, und am anderen Ende ein italienisches Restaurant. Etwas abseits ein "Pro"-Supermarkt, 50 m dahinter ein Altenheim. Mittig zwischen den Gebäuden eine Art Platz, vielleicht 30 x 30 Meter, durchzogen mit Gehwegplatten und krüppeligen Büschen dazwischen und einer dieser klobigen, fest verankerten Beton-Tischtennisplatten, die man damals öfter mal in Parks und auf Spielplätzen fand (gibt's die heute noch?), und ein paar Sitzbänken.
Hinter der Ladenzeile war der Parkplatz entlang der Gebäude, und dahinter ein grauer, langgezogener Fertigplatten-Kiesbeton-Wohnklotz mit etwa 6-7 Stockwerken. Von dort hatte man auch einen guten Blick auf den oben genannten Platz.
Wir hingen damals nach der Schule und an Wochenenden allgemein unter anderem auch auf diesem Platz ab, tranken Bier, waren cool, kannten den Türsteher-Zuhälter der Disco sowie den Grillimbissbetreiber und waren auch ab und an im Restaurant.
Einer meiner damaligen Kumpel arbeitete im Hamburger Hafen. Viele von uns gingen noch zur Schule, er verdiente schon gutes Geld. Er war ein fröhlicher Geselle, mit ihm konnte man immer gut lachen, und er hatte auch ein freundliches und spendables Wesen.
Aus was auch immer seine Arbeit bestand, damals legten noch Stückgutfrachter in Hamburg an, und da hatte er manchmal auch im Freihafen -damals echtes Zollverschluss-Gelände, heute "Hafencity", mit Beladen und Löschen zu tun. Ihr Annos wisst, dass mit Löschen nicht das Beseitigen lodernder Feuer gemeint ist...
Und da es sich um Stückgut handelte, war es nicht wie heute in Containern gepackt, gestapelt und weggeschlossen, sondern halt relativ offen in Kartons, auf Paletten, in Bündeln, Säcken usw. Und manchmal "fiel beim Verladen halt was vom Laster", sozusagen. Und bevor das Zeug dann da so herrenlos herumlag und sich durch Transmutation vielleicht noch in eine gefährliche Stolperfalle wandelte, nahmen es die fürsorglichen Hafenarbeiter lieber mit nach Hause.
Ich sollte noch erwähnen, es war so etwa August/September, weiß nicht mehr genau, jedenfalls doch recht weit weg von Sylvester.
Sylvester, ja, da haben wir gerne geböllert und so. Es gab D-Böller und die kleinen, und so Raketen, die einmal zischten, einmal pufften, und einmal leuchteten, Feuerwerk-Ende. Keiner kannte diese Knaller-Batterien, wie man sie heute en gros kaufen kann.
Und wir saßen also eines Abends da so rum, und wir waren dank der "paar Bier", die wir alle schon hatten, auch nicht mehr so ganz alleine.
Da packte mein Kumpel dann was aus seinem Rucksack und legte es auf die Tischtennis-Platte. Es sah aus wie eine Hutschachtel, war aus Pppe, komplett schwarz, hatte so etwa 100 kleine zylinderförmige Röhrchen drin, und eine Lunte an der Seite.
Und es war etwa kurz vor Mitternacht. Alles war zu und im wesentlichen dunkel. Und wir dachten so ja geil, zünd an, boah ey, wenn das 100 Mal knallt, hihihi haha, gröhl johl usw. wie witzig ...
Das tat er dann auch.
Es zischte kurz, und dann ging es los: Leuchtsterne stiegen auf, begleitet von Heulern, maschinengewehrähnlichem Knattern, Geknalle, Funkensprühen, und es hörte nicht mehr auf! Gefühlte 180 Dezibel für etwa 3 reale, 300 gefühlte Minuten!
Und überall gingen Lichter an. Überall kamen Leute an die Fenster. Und auf die Flure. Und aus der Disco (die hatte ja auf).
Und wir? Dieser Mix aus Lachanfall und Panik, wir rannten ... einfach nur weg. Weg von dieser Hölle, deren Mittelpunkt wir waren. Ich weiß bis heute nicht, wieviele Rentner im Altenheim kollabierten, wieviele Hundertschaften auf den Weg gebracht wurden, wiviele Leute an einen Anschlag der RAF glaubten und wiviele "Asis" sich bewaffnet auf den Weg zum Platz machten. Wir liefen im Sprint etwa 80 km/h schnell und etwa 1000 km weit weg.
Die Kurve zu Advent und Weihnachten? Naja, vielleicht die vielen bunten Lichter. Zwar im Spätsommer, aber überaus besinnlich.
Tja, so hab auch ich das Anekdotenalter erreicht.
Ich bin "Batman", aber jetzt schon ganz alt
War damals zu 1602-Zeiten meistens im Sunflowers-Chat.
Keine Ahnung ob ich noch jemanden hier "wiedererkenne", oder jemand mich...
Dickerbaer = damals "Seebaer"?
Na egal, Geschichten schreib ich jedenfalls gerne.
Würd mich freuen, wenn diese hier gefallen hat.