Wir befinden uns im Jahr 2070. Angela Merkel ist geschmolzen und Deutschland überflutet. Ach ne, falsche Geschichte, noch mal.
Wir befinden uns im Jahr 2070. Ubisoft, der geliebte Führer Publisher astreiner Spieler und Publikumsliebling seit Jahrhunderten – so steht es zumindest seit Jahren in der Werbung, wie das Ministerium für Wahrheit proklamiert – hat sein Portfolio wieder einmal erweitert. Nach PC-Spielen, Plastiksolarbauteilen, Actionfiguren und erfolgreichem Einstieg als Onlineanbieter sollen nun auch Bücher vom französischen Erfolgskonzern angeboten werden, nachdem eine Idee bezüglich lukrativer, aber recht dubioser Waffengeschäfte wieder verworfen wurde.
Ein kleiner, schmucker Buchladen. Wir befinden uns in Ipswich, Suffolk, East Anglia. Vielleicht auch in Wanne-Eickel im Ruhrpott. So wichtig ist das nicht.
(Ein älterer Herr betritt den Buchladen. Schellen. Er nähert sich der Theke)
»Tach! Ich möchte eine Beschwerde vorbringen.«
(Der Verkäufer hinter der Theke scheint beschäftigt am Regal und antwortet nicht)
»Hey, Fräulein!«
»Wie bitte?«
»Na endlich, der Trick geht immer.«
(Der Verkäufer nickt, stellt sich dem Herrn gegenüber)
»Ich hätte eine Beschwerde vorzubringen.«
(in Eile) »Ähm, ich wollte gerade Mittag machen!«
(ignorierend) »Wissen Sie, junge Frau, ich habe mir von meinen verwöhnten Bälgern dieses E-Book schenken lassen. Ich umgehe die Dinger geschickt seit über 60 Jahren, aber dieses Mal kam ich nicht drum herum.«
(schmunzelnd) »Sie lesen wirklich noch Bücher? Aus Papier und so?«
»Gibt es da etwas dran auszusetzen? Ich habe jedenfalls dieses E-Book bekommen, und kaum eine halbe Stunde später, nachdem ich es einschaltete…«
»Ah, Christopher Schmitz „Die Zierelemente kommen!“, schönes Buch, schönes Buch! Was ist denn damit?«
»Ich sage Ihnen, was ihm fehlt: man kann es nicht lesen. Das fehlt ihm!«
»Ach, nichts da, es ist nur im Offline-Modus.«
»Offline-Modus? Ich erkenne doch ein nicht funktionierendes E-Book, wenn es vor mir liegt.«
»Oh, nein, nein, das ist nur vorübergehend, solange die Ubi-Server down sind. Und auch im Offline-Modus ist das Buch voll funktionsfähig.«
»Voll funktionsfähig? Die Seiten 30-50 fehlen.«
»Ach, die können sie sich doch so denken.«
»Das Ende lässt sich auch nicht laden, ich habe nachgesehen. Und Seitenzahlen sind auch keine dabei.«
»Seitenzahlen werden noch per Patch nachgereicht, jetzt regen Sie sich nicht so auf. Das ist doch nur Zusatz.«
»Und was ist mit den versprochenen Illustrationen? Jeder Band dieser Reihe hatte bisher Illustrationen.«
(steif und fest) »Ubisoft hat für Patch 1.56b angekündigt, dass es wieder zwei zusätzliche Illustrationen geben wird.«
»Und wo bleiben die anderen? Meine Kinder haben schließlich annähernd 50.000 €* für den Mist hingeblättert, das würde ich gerne sofort alles haben, was auch da drin ist – und es auch bitte lesen, wann ich will, und nicht wann der Ubiserver gerade on ist. Schließlich hat Christopher Schmitz gerade die Zierelemente im Buch angekündigt, und will mir nicht von einer Maschine vorschreiben lassen, wann ich weiterlesen darf.«
»Nichts hält sie davon ab! Wie gesagt, das Buch ist auch im Offline-Modus voll funktionsfähig.«
»Sie wollen mich wohl verkohlen? Wenn das Buch voll funktionsfähig ist, dann schalte ich es eben ein.«
(Klickt das E-Book an. Weißer Bildschirm. Der Verkäufer drückt auf ein anderes E-Book auf der Theke, welches ein Startsignal gibt.)
»Da! Es hat gepiept.«
»Das waren SIE!«
»Nein, ich würde niemals, niemals nie…«
(Der ältere Herr knallt mit dem E-Book mehrmals auf die Theke auf)
»DIESES E-BOOK KANN MAN NICHT LESEN! ES IST KAPUTT! IN DIE EWIGEN JAGDGRÜNDE EINGEGANGEN! ES IST EIN EX-E-BOOK!«
(Der Verkäufer schaut etwas betreten auf das malträtierte E-Book)
»Ähm, ich glaube, ich sollte es dann umtauschen.«
(Verlässt mit dem E-Book die Theke, geht nach hinten. Verkäufer wendet sich um)
»Gut, dass ich noch CD-Roms und Bücher aus Papier daheim habe; wenn man irgendetwas in diesem Land will, muss man sich beschweren, bis einem der Mund blau anläuft!«
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*Entspricht inflationsbereinigt ca. 45€ des gegenwärtigen Kurses.